Meine erste Zeit in Lagos

 

Meine erste Zeit in Lagos

Meine erste Zeit in Lagos war geprägt von Abenteuer, Angst, Heimweh, Glück, Lernen von Neuem und viel über mich selbst. An dem Tag, an dem meine 2 Freundinnen wieder zurück mussten nach Krefeld, war ich sehr traurig und unsicher. Als ich sie wegfahren sah, war mein Reflex hinterherzulaufen und in das Auto zu springen. 

Was jetzt?

Was sollte ich jetzt machen? Ich musste ja eigentlich immer irgendetwas machen. Mein Freund ging arbeiten, ich kannte eigentlich niemanden und konnte die Sprache auch nicht. Also, erst mal die Sprache. Ich lernte die Grammatik und sprach viel mit seiner Familie. Ich habe mich mit seiner Schwester angefreundet. Sie hatte 2 kleine Kinder und ging auch nicht arbeiten.

Wir haben viel unternommen und ein Mischmasch von Portugiesisch und Englisch geredet. Vor allem haben sie und ihre Mutter mir kochen beigebracht. Ich konnte ja vorher nicht wirklich kochen.

Eine komplett neue Welt für mich. Ausschlafen, nichts tun, überlegen was es zum essen gibt, in der Sonne sitzen, Filme schauen und Portugiesisch lernen. In der ersten Zeit konnte ich das nicht echt genießen, da ich mir so unnütz vorkam. Es hat ungefähr ein Jahr gedauert, bis ich mich akklimatisiert habe.

Seine Mutter

Seine Mutter war von Anfang an sehr freundlich zu mir und nahm mich auf, wie eine Tochter. Sie band mich in die Familie ein. Ich kannte das nicht, fand es aber schön. Bei Streitigkeiten zwischen mir und ihrem Sohn, war sie immer auf meiner Seite und hat mich immer in Schutz genommen. Das war schon komisch. Ich hatte immer das Gefühl, dass sie unbedingt wollte, dass es zwischen ihm und  mir klappt. Sie ist eine sehr dominante Frau, die alles unter Kontrolle hat. Wenn man etwas brauchte, konnte sie es in kürzester Zeit arrangieren.

Sein Vater

Das erste Mal sah ich seinen Vater, als er mich vom Flughafen abholte. Er sah genauso aus wie mein Freund. Ein liebes Gesicht. Er sprach nicht viel. Als wir im Auto saßen, roch ich den Alkohol. Mein Freund sagte mir, dass ich mir keine Sorgen machen müßte, das wäre sein Normalzustand. Tatsächlich habe ich ihn in den ganzen Jahren kein einziges Mal nüchtern gesehen. Die Angst, mit ihm im Auto zu fahren blieb und ich war froh, als ich endlich ein eigenes Auto gekauft habe.

Die Warnsignale

Es gab so viele Warnsignale. Seine Familie behandelte ihn wie ein rohes Ei, mich wie eine Königin, die nicht verärgert werden durfte. Sein Vater war Alkoholiker und hatte früher harte Drogen genommen, wie ich erfahren hatte. Mein Freund hatte Wutausbrüche und trank auch ziemlich viel. Es wurde immer mehr in den ersten Monaten. Er war dann auch ziemlich eifersüchtig und machte mir dann Szenen.

So, da saß ich in Portugal, mit einem Mann, der mir immer fremder wurde, abhängig von ihm, da ich noch keine Arbeit hatte. Sollte ich zurück nach Deutschland? Nein, das wollte ich wirklich nicht. Eigentlich hatte ich von Anfang an gefühlt, dass etwas mit ihm nicht stimmte, aber ich wollte aus Deutschland und meinem Leben weg. Ich wollte das Land meines Vater kennenlernen, welches auch eigentlich mein Land war. Das fühlte ich. Ich war meinem Vater viel ähnlicher als ich immer wahr haben wollte. Das Leben in Portugal tat mir gut. Mein Kontrollzwang war auf ein Minimum reduziert, ich war viel entspannter. Die ständige Sonne war wie ein Lebenselixier. 

Also in Portugal bleiben, habe ich beschlossen. Seine Mutter hat mir geholfen , als ich versuchte einen Job zu finden. Ich habe meine Lebensläufe in den Krankenhäusern abgegeben und tatsächlich rief mich ein Deutscher an. Er war Stationspfleger in einem Privatkrankenhaus. Kurz gesagt, ich kriegte den Job.

Im Krankenhaus

Ich wollte eigentlich nie wieder als Krankenschwester arbeiten. Nicht die richtige Arbeit für mich. In dieser Situation hatte ich aber nicht viele Möglichkeiten. Ich war froh, Geld zu verdienen. Verglichen mit Deutschland war die Verantwortung der Krankenschwestern sehr groß  und ich musste noch so viel lernen. Auch die medizinischen Termini wollten gewußt sein. Kurzum, das erste Jahr war die Hölle.

Mein Chef war ein deutscher egozentrischer Sadist mit Humor. Vor allem unsichere Menschen, wie ich es war, quälte er gerne. Mit der Zeit habe ich mir ein dickeres Fell zugelegt und ich wurde auch immer besser in meinem Job. Ich habe viele Freunde unter meinen Kollegen gefunden, die es noch bis heute sind.

Der Schock

Gleichzeitig fiel mir auf, dass wir immer weniger Geld hatten und dass etwas nicht stimmte. Mein Freund wurde immer gereizter und ging oft alleine aus. An einem Abend spitzte sich alles zu und ich erfuhr endlich, was los war. Mein Freund war ein Ex-Heroinabhängiger und hatte wieder angefangen. Bum…, das saß.

Ich hatte noch niemals vorher irgendwas mit harten Drogen zu tun gehabt. Natürlich wußte ich, was ich machen mußte, aber das war schwierig für mich. Ich hatte gerade einen Job und der brachte mich auch oft zur Verzweiflung und ich wohnte in einem fremden Land.

Ich beschloß, ihm zu helfen. Wenn er es einmal geschafft hatte, gelingt ihm das wieder, dachte ich.

Nun begriff ich auch das Verhalten der Familie. Sie waren alle wegen ihm an die Algarve gezogen, 2 Jahre zuvor. Vorher hatten sie 15 km von meinem Vater entfernt gewohnt. Er hatte einen Entzug gemacht und seine Mutter hatte alle nach Lagos verfrachtet, weg von seinem Dunstkreis suspekter Freunde.

Meine Unabhängigkeit

Ein langwieriges Hin und Her begann und nach kurzer Zeit, war ich am Ende meiner Kräfte. Er zog auf einen Campigplatz, in die Nähe zu den Dealern, wie ich später erfuhr. In dieser Zeit war ich sehr einsam und verletzt. Ich dachte ernsthaft daran, wieder zurück zugehen nach Deutschland. Weggelaufen war ich ja lange genug, ich bleibe hier, dachte ich mir und suchte mir ein eigenes Haus auf dem Land.

Seine Mutter gab nicht auf. Sie wollte, dass er einen Entzug machte und wir wieder zusammenkommen. Er ging auch in die Klinik und haute wieder ab. Mir war es mittlerweile egal und ich hatte mir ein eigenes Leben aufgebaut. Ich traf mich öfter mit Edgar, meinem heutigen Mann, und hatte auch andere Freunde.

Auf dem Land

Ich liebte es auf dem Land zu wohnen. Ein großes Haus mit einem riesigen Grundstück. Und rundherum nichts. Diese Ruhe auf meiner großen Veranda. Nur die Affen aus dem etwas entfernten Zoo konnte man manchmal hören.

Ich war stolz auf mich, wie ich mich aus dieser Situation befreit habe, trotz Helfersyndrom und seiner Mutter, die immer wieder auf mich einredete. Noch heute versucht sie mir zu sagen, dass Edgar nicht der Richtige für mich ist und wie schade es wäre, dass ihr Sohn und ich kein Paar mehr sind.

Ich habe mich auf meiner Station im Krankenhaus durchgesetzt und es geschafft. Portugal habe ich zu meinem Land gemacht. Ich liebe es bis heute.

Mein Chef ist übrigens beim Stehlen erwischt worden und wurde entlassen. What goes around comes around. 😉

 

Liebe Grüße,

Olivia

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